✎ geschrieben von Stephan am 2021-06-06 18:38:36
Am 4. Juni 2021 veröffentlichte Netflix die acht Episoden umfassende erste Staffel der eigens produzierten neuen Serie Sweet Tooth. Das war mal wieder so eine Serie, die mich bereits vom ersten Vorschaubild her angesprochen hat, und auch der Trailer machte einen guten Eindruck. Als die Serie dann endlich da war, schaute ich also einfach mal in die erste Folge rein - zumindest hatte ich das vor! Denn tatsächlich wurde aus "in die erste Folge reinschauen" direkt "die ganze Serie innerhalb von nicht einmal 24 Stunden durchsuchten".
Sweet Tooth hat aktuelle Bezüge zur Realität, was jedoch keine gewollte Anspielung ist, sondern nur ein - wenn auch etwas erschreckender - Zufall. Das Setting der Serie besagt nämlich, dass das neuartige H5G9-Virus auf der Erde gewütet hat - Parallelen zur COVID-19-Pandemie sind durchaus zu erkennen! Genau wie "unser" Coronavirus gilt auch H5G9 als sehr ansteckend und tödlich. Tatsächlich gibt es aber bei den meisten Menschen wenige bis gar keine sichtbaren Symptome. Das einzige äußerlich erkennbare Anzeichen für eine H5G9-Infektion scheint ein zuckender kleiner Finger zu sein. Nichtsdestotrotz scheint das Virus so gefährlich zu sein, dass die Menschen sogar dazu übergegangen sind, die Häuser der Infizierten bis auf die Grundmauern niederzubrennen - mit den Kranken darin! So zeichnet Sweet Tooth eine düstere Zukunftsprognose dessen, was aus SARS-CoV-2 hoffentlich niemals wird. Aber wie gesagt, all die Bezüge sind nur Zufall: Die Comicreihe, auf der Sweet Tooth basiert, erscheint bereits seit 2009, und auch die Konzeption der Serie begann schon im Herbst 2018, als von COVID-19 noch nichts zu ahnen war.
Hauptfigur und auch Titelheld in Sweet Tooth ist ein etwa 10-jähriger Junge mit Namen Gus - seinen Spitznamen "Sweet Tooth" ("Süßer Zahn") bekam er, weil er so gerne Sirup isst. Gus sieht weitgehend aus wie ein ganz normales Kind, mit einem sehr deutlichen Unterschied: Er hat ein Hirschgeweih!
Es ist nämlich so: Ungefähr ab der Zeit, zu der das H5G9-Virus erstmals auftrat, kamen auch weltweit immer mehr so genannte "Hybride" zur Welt, Mischwesen aus Mensch und Tier. Die Hybride sind im Grunde Menschenkinder, haben aber mehr oder weniger ausgeprägte tierische Körpermerkmale und Eigenschaften. Gus hat, wie gesagt, ein Hirschgeweih und auch die passenden Ohren dazu, mit denen er sehr gut hören kann. Ein Mädchen, das wir später in der Serie kennenlernen, unterscheidet sich "nur" durch einen Schweinerüssel von einem normalen Kind. Es gibt aber auch einen Jungen, der komplett wie ein Erdhörnchen aussieht.
Da das H5G9-Virus und die Hybride in etwa zeitgleich auftraten, gibt es natürlich die wildesten Spekulationen: Die einen denken, die Tierkinder seinen Schuld am Ausbruch der Pandemie, die anderen glauben, sie könnten der Schlüssel zu einer wirksamen Medizin sein - so oder so sind beide Seiten hinter den Hybriden her. Gus hat von all dem allerdings noch keine Ahnung: Sein Vater hat sich lange Zeit zusammen mit seinem Sohn in einem eingezäunten Gebiet irgendwo im Yellowstone-Nationalpark versteckt. Gus hat dort eine glückliche, wenn auch ziemlich einsame Kindheit, aber die Einsamkeit stört ihn gar nicht, weil er es überhaupt nicht anders kennt. Was allerdings tatsächlich draußen in der Welt passiert, hat der Vater seinem Sohn nie erzählt, vielleicht um das Kind zu schützen, vielleicht auch aus eigener Furcht. Die einzige Regel war nur immer: Überquere niemals den Zaun!
Als Gus etwa neun Jahre alt ist, zieht sein Vater sich schwere Verletzungen zu, als er das Versteck vor Eindringlingen verteidigt, und stirbt wenig später. Gus lebt noch für eine kurze Zeit allein im Versteck, es treten aber doch immer mehr Gefühlsschwankungen auf. Zufällig findet Gus ein altes Foto seiner Mutter, die er noch nie gesehen hat, das Foto wurde aber scheinbar in Colorado aufgenommen, und so entschließt sich Gus, dorthin zu gehen. Als der Junge gerade aufbrechen will, tauchen neue Eindringlinge auf und es scheint so, als habe Gus' letztes Stündlein geschlagen - bis plötzlich auch noch ein großer dunkelhäutiger Mann auftaucht, die Eindringlinge erledigt und Gus damit das Leben rettet. Damit ist die Sache für den Mann dann auch eigentlich schon gegessen und er will weiterziehen - doch Gus denkt, der Typ ist vielleicht seine Chance, nach Colorado zu Mama zu kommen, und läuft hinterher!
Der Mann heißt Tommy Jepperd und war vor der Pandemie ein bekannter Football-Spieler. Als "einsamer Wolf" hält er anfangs überhaupt nichts von der Idee, ein kleines Kind quer über den Kontinent bis nach Colorado zu begleiten. Irgendwie raufen sich Gus und Jepperd dann aber doch zusammen, und der Mann beschließt, dem Jungen im Rahmen seiner Möglichkeiten doch ein wenig zu helfen. Zu zweit machen sie sich auf eine abenteuerliche Reise durch eine post-apokalyptische Welt, in der keine Gesetze mehr gelten und jeder Mensch ein potentieller Todfeind sein könnte ...
Unter dem Mantel der Post-Apokalypse erzählt Sweet Tooth im Kern ein schönes modernes Märchen um ein Mischwesen aus Menschenkind und Tier. Ich mag ja grundsätzlich solche Filme und Serien, in denen zwar Kinder die Hauptrolle spielen, die aber an sich eigentlich nichts für Kinder sind - man denke etwa an andere Netflix-Serien wie Locke & Key, aber auch an Animes wie The Promised Neverland oder Made in Abyss, und da passt auch Sweet Tooth sehr gut ins Schema.
Ein "Problem" hat Sweet Tooth allerdings, und das ist das offene Ende: Wie bereits frühere Netflix-Serien, die mir gut gefallen hatten, wie Lost in Space oder Locke & Key, hört auch Sweet Tooth an einer sehr spannenden Stelle mittendrin auf. Wie es weitergeht, soll dann wohl irgendwann in einer zweiten Staffel erzählt werden - bis diese erscheint, kann aber sehr viel Zeit vergehen, bis dahin ist man womöglich komplett aus der Geschichte raus, und dann fehlt auch die Motivation, weiter zu schauen. Dank Lost in Space spreche ich da aus Erfahrung: Auch beim Weltraum-Abenteuer der "Familie Robinson" hatte ich die erste Staffel binnen weniger Tage durchgesuchtet. Sie endete mit einem Cliffhanger. Die zweite Staffel erschien erst knapp zwei Jahre später, diese habe ich mir aber bis heute noch nicht angeschaut.
Nichtsdestotrotz würde ich Sweet Tooth definitiv weiterempfehlen. Die Handlung ist spannend, mit einigen sehr herzlichen Momenten und dem ein oder anderen guten Gag. Die ganze Serie ist technisch gut gemacht, sei es die Darstellung der post-apokalyptischen Welt, die schönen Naturaufnahmen im Yellowstone-Nationalpark (die tatsächlich in Neuseeland entstanden) oder vor allem auch die Tierkinder. Der 11-jährige Christian Convery spielt die Hauptrolle des Gus sehr überzeugend: Von diesem jungen Talent möchte man gerne in Zukunft noch mehr sehen, am liebsten eine zweite Staffel von Sweet Tooth.
Sweet Tooth umfasst acht Episoden, die jeweils etwa 45 Minuten lang sind. Die ganze Serie hat somit eine Spieldauer von rund sechs Stunden. Regie führte Jim Mickle. Die Comicvorlage stammt aus der Feder von Jeff Lemire, sie ist mit der ersten Staffel jetzt ungefähr bis zur Hälfte verfilmt. Auf Deutsch erscheinen die Comics bei Panini: Die ersten sechs Bände sind bereits erhältlich, der abschließende siebte Band soll Anfang Juli 2021 folgen.
→ Sweet Tooth auf Netflix
Bildnachweis: Alle Screenshots in diesem Artikel sind selbst erstellt. Das Copyright liegt bei den Rechteinhabern der jeweiligen Serien.
Sweet Tooth: © DC Entertainment, Netflix, Team Downey, Warner Bros. Television
Erstellt am 11.01.2021 • Letzte Änderung: 29.09.2022 • Impressum • Datenschutz • Cookie-Einstellungen • Nach oben