✎ geschrieben von Stephan am 2022-11-28 22:50:25
Alle drei Jahre wieder: Eine neue Pokémon-Generation! Vorletzten Freitag, am 18. November, ist mit Pokémon Karmesin & Purpur für die Nintendo Switch nun die inzwischen 9. Generation an den Start gegangen. Was ich von dem Spiel halte, das lest ihr im folgenden Review.
Die Region, in der die neuen Spiele stattfinden, heißt Paldea und basiert auf Spanien - wobei allerdings, das sei gleich zu Beginn gesagt, im Nord-Osten keine Verbindung zur Kalos-Region aus Pokémon X & Y besteht, welche ja auf Frankreich basiert. Nein, Paldea steht ganz für sich allein, aber das macht gar nichts, denn die Welt ist auch so schon groß genug und lädt zum Erkunden ein! Und Erkunden, das könnt ihr diesmal wirklich, denn im Gegensatz zu Pokémon Legenden: Arceus, wo es immer noch unsichtbare Grenzen gab, ist Paldea wirklich komplett offen. Zwar schaltet ihr Fähigkeiten wie Klettern oder Schwimmen erst später frei, aber auch zu Fuß könnt ihr bereits zu Spielbeginn viele Orte erreichen. Ob das sinnvoll ist, sei dahingestellt, da euer kleines Start-Pokémon auf Level 5 natürlich keine Chance hat gegen die wilden Level-50-Monster, die euch in einigen Gebieten begegnen - aber dorthin gehen könnt ihr, da hält euch niemand auf!
Trotzdem beginnen wir lieber mal ganz am Anfang. Ihr seid frisch in die Paldea-Region gezogen, in das beschauliche kleine Örtchen Cuchario ganz im Süden des Landes - im echten Spanien müsste ungefährt dort Gibraltar liegen. Eure Schulzeit in der Orangen-Akademie (in Karmesin) bzw. Trauben-Akademie (in Purpur) steht bevor, wo ihr zum Pokémon-Trainer ausgebildet werden sollt. Als "Lernmaterial" erhaltet ihr dann auch direkt euer Start-Pokémon: Den Typ Pflanze vertritt diesmal das kleine grüne Kätzchen Felori, das später aber ein ziemlich finsterer Typ wird. Für Feuer-Fans steht das kleine Krokodil Krokel zur Auswahl, das mich ein wenig an den guten alten Blargg aus Super Mario World erinnert, deswegen habe ich es auch gewählt: Bei seiner Entwicklung erhält es den Geist-Typ dazu und trägt eine schaurige Totenkopf-Maske, die im Stil des Totenfestes Día de Muertos bemalt ist. Vom Wasser-Typ könnt ihr schließlich eine Ente mit Namen Kwaks bekommen, und bei der Entwicklung wird daraus ein kämpfender Karnevalstänzer - ja, man merkt schon, neben Spanien selbst waren auch Bräuche aus Mexiko oder Brasilien Inspiration für die neuen Pokémon!
Insgesamt knackt die Anzahl der Pokémon übrigens erstmals den 4-stelligen Bereich: Es gibt jetzt genau 1008 verschiedene Taschenmonster. Bis ihr die alle beisammen habt, vergeht aber einiges an Zeit, zumal leider auch Pokémon Karmesin & Purpur wieder keinen Nationaldex an Bord haben. So hat der Paldea-Dex nur genau 400 Einträge: Die 103 neuen Pokémon der 9. Generation plus 297 ältere Exemplare, bunt gemischt aus allen Generationen.
Unter den 103 neuen Pokémon finden sich gänzlich neue Ideen, beispielsweise ein Geisterhund mit Kerze auf dem Kopf, ein Psycho-Truthahn oder auch ein Münzen sammelndes kleines Gespenst. Auch gibt es wieder neue Regional-Formen altbekannter Pokémon, davon aber nur verschwindend wenige: Das braune Paldea-Felino ist kein Wasser-Typ mehr, sondern ein Boden-Gift-Typ, und Paldea-Tauros ist pechschwarz und je nach Edition entweder Typ Feuer oder Typ Wasser. Einige bekannte Pokémon erhalten auch neue Entwicklungen, so wird das zweiköpfige Girafarig jetzt zu Farigiraf und der eine Kopf frisst den anderen auf. Dummisel dagegen wird größer und wächst zu Dummimisel heran. Am spannendesten ist allerdings, dass es neue Vergangenheits- und Zukunfts-Varianten altbekannter Pokémon gibt: Diese erinnern durchaus an ihre heutigen Pendants, weisen aber doch ein paar deutliche Unterschiede auf, haben teilweise einen anderen Typ, auf jeden Fall aber einen anderen Namen und eine eigenständige Pokédex-Nummer. Ein Beispiel dafür ist etwa Brüllschweif, eine Vergangenheitsform von Pummeluff mit Psycho-Typ, langer Mähne und einem ohrenbetäubenden Schrei anstatt des lieblichen Schlaflieds.
Auch legendäre Pokémon gibt es wieder, zwei von ihnen sind bereits auf den Cover zu sehen: Koraidon in Kamersin und Miraidon in Purpur. Dem Cover-Legendären eurer Edition begegnet ihr bereits sehr früh im Spiel, noch bevor ihr zum ersten Mal die Schule erreicht. Das Pokémon ist geschwächt und nahezu bewegungsunfähig, doch als ihr ihm euer Pausenbrot abgebt, erhält es einen kleinen Teil seiner Kräfte zurück und fasst außerdem großes Vertrauen zu euch. Tatsächlich begleitet es euch nämlich von da an bereits auf Schritt und Tritt. Kämpfen kann es zwar noch lange nicht, weil es dazu noch viel zu schwach ist, aber es lässt euch auf sich reiten, und im Lauf der Zeit erlangt es immer mehr Fähigkeiten zurück, so dass ihr auf ihm später auch springen, klettern, schwimmen und fliegen könnt - so gesehen ist das Legendäre also euer Ersatz für die VM-Attacken, wie man sie noch von früher kennt.
Dann erreicht ihr aber doch endlich die Schule! Sie befindet sich in Paldeas Hauptstadt Mesalona City, die vermutlich auf Spaniens echter Hauptstadt Madrid basiert - und die Schule selbst ist inspiriert von der Basilika Sagrada Familia, die sich tatsächlich in Barcelona befindet und die auch bereits im 10. Pokémon-Kinofilm Der Aufstieg von Darkrai die Vorlage für die Raum-Zeit-Türme war. Die Akademie ist für euch eine Art optionales Tutorial: Ihr könnt verschiedene Unterrichtsstunden besuchen und dabei Grundlegendes über das Pokémon-Spielprinzip erlernen, aber auch ein paar Details zur Geschichte der Paldea-Region erfahren. Wahrscheinlich zieht es euch aber eher hinaus in die Welt, um ein Abenteuer zu erleben - und auch das erlaubt und unterstützt die Schule!
Insgesamt gibt es drei mögliche Pfade, die ihr einschlagen könnt. Als erstes ist da der sogenannte "Weg des Champs", dabei handelt es sich um das klassische Pokémon-Prinzip: Ihr klappert insgesamt acht Arenen ab, um am Ende mit acht Orden schließlich auch noch die Top Vier herauszufordern. Aufgrund der offenen Spielwelt könnt ihr die Arenen diesmal aber tatsächlich in beliebiger Reihenfolge besuchen - na gut, ganz beliebig vielleicht nicht, da ihr in den Arenen, die für später gedacht sind, einfach noch viel zu sehr unterlevelt seid! Ich selbst habe aber beispielsweise nach der 4. Arena einfach mal direkt die 7. Arena herausgefordert: Es war ein sehr harter Kampf, aber es war möglich! Die übersprungenen Arenen 5 und 6 hab ich dann einfach danach noch nachgeholt.
Ein zweiter möglicher Pfad ist der "Pfad der Legenden": Zusammen mit dem Mitschüler Pepper sollt ihr fünf besonders mächtige Herrscher-Pokémon aufspüren und besiegen. Pepper behauptet, es geht ihm um spezielle Gewürze, durch die die Herrscher-Pokémon so groß und stark geworden sind: Diese Kräuter will er auch haben, um daraus das ultimative Sandwich zu kreieren. Erst im Lauf der Zeit erfahrt ihr langsam, dass Pepper noch einen anderen, ganz speziellen Grund hat, diese Gewürze zu finden, und das ist eine sehr herzliche Angelegenheit - mehr spoiler ich nicht!
Der dritte Pfad ist schließlich die "Straße der Sterne": Über ganz Paldea verteilt befinden sich fünf Lager von Team Star, und diese Rüpel wirken am Anfang tatsächlich einfach nur wie Unruhestifter, die es in ihre Schranken zu verweisen gilt. Auch hier erfahrt ihr erst im Lauf der Zeit, wie tiefgründig die ganze Geschichte tatsächlich ist.
Welchen dieser drei Pfade ihr zuerst einschlagt, bleibt euch überlassen, aber tatsächlich könnt und sollt ihr immer munter zwischen den Pfaden hin und her springen und einfach alles erledigen! Wenn also etwa auf dem Weg von der einen zur anderen Arena ein Team-Star-Camp am Weg liegt, dann nichts wie rein da und euch mal ernsthaft mit dem Anführer unterhalten!
Habt ihr am Ende schließlich alle drei Pfade abgeschlossen und seid Pokémon-Champ geworden, dann, ja, dann ist das Abenteuer trotzdem noch nicht ganz vorbei! Auf der Karte der Paldea-Region ist euch sicher schon dieser große Klecks Wolken in der Mitte aufgefallen: Darunter ist der sogenannte "Schlund von Paldea" verborgen, von dem ihr bereits früh hört, aber lange noch nicht selbst dorthin dürft. Der Schlund von Paldea ist ein tiefer kreisrunder Abgrund und erinnert mich persönlich auch ein bisschen an den Abyss aus dem Anime Made in Abyss. Nun, und dass ihr zum Abschluss der Hauptstory auch selbst in den Abyss hinabsteigen sollt, das war ja eigentlich zu erwarten! Was euch allerdings dort erwartet? Da müsst ihr selbst hingehen und nachschauen, ich verrate es euch nämlich nicht!
So viel zur Story, und natürlich gibt es auch neue Spielfunktionen und Kampftechniken. Sehr schön ist, dass alle Pokémon wieder frei sichtbar in der Welt herumlaufen, wie ich es bereits in Pokémon: Let's Go, Pikachu & Evoli geliebt habe - neu ist, dass ihr außerdem euer erstes Pokémon im Team frei losschicken könnt: Es sammelt dann von sich aus herumliegende Items auf, besiegt wilde Pokémon und erhält dadurch Erfahrungspunkte, ohne dass ihr euch aktiv um es kümmern müsst. Ihr dürft nur nicht zu schnell weglaufen, sonst kommt das Pokémon zurück in seinen Pokéball, damit ihr es nicht zurücklasst.
Die neue Kampftechnik nach Mega-Entwicklungen, Z-Attacken und Gigadynamax nennt sich jetzt Terakristallisierung: Ähnlich wie bei Gigadynamax nimmt das Pokémon hierbei eine andere Form an, doch anstatt riesengroß zu werden, verwandelt sich sein Körper in Kristall. In seiner Tera-Form kann ein Pokémon durchaus einen anderen Typ haben, womit sich unvorbereitete Gegner gut überraschen lassen. Anders als Gigadynamax wird die Terakristallisierung auch nicht nach drei Runden rückgängig gemacht, sondern hält an, bis das Pokémon besiegt wurde oder der Kampf beendet ist. Dann allerdings müsst ihr euren sogenannten Terakristall-Orb erst in einem Pokémon Center wieder aufladen lassen, bevor ihr die Terakristallisierung erneut durchführen könnt - gerade auf weiter Ebene, wenn weit und breit kein Pokémon Center in Sicht ist, solltet ihr also genau abwägen, ob ihr diese Option jetzt wirklich schon verbraucht oder sie euch lieber noch aufspart.
Eine neue spannende Funktion bietet auch der Multiplayer-Modus: Bis zu vier Spieler können gemeinsam Paldea erkunden! Nun gut ... sooo spannend ist es dann doch nicht, denn ihr könnt beispielsweise nicht zu zweit eine Arena herausfordern und als Duo im Doppelkampf gegen den Arenaleiter antreten, schade eigentlich. Ihr könnt aber immerhin als Gruppe durch die Welt laufen, und wenn verschiedene Editionen dabei sind, dann könnt ihr in der Multiplayer-Welt auch die editionsspezifischen Pokémon finden, die in eurer eigenen Edition eigentlich nicht existieren. Klassische Tauschgeschäfte und Kämpfe gegen Freunde sind aber natürlich auch weiterhin möglich. Zudem besteht nach wie vor die Möglichkeit, im Wundertausch ein zufälliges Pokémon von irgendeinem fremden Spieler zu erhalten. Lediglich die GTS (Global Trade Station) sucht ihr vergeblich, dazu müsst ihr auf die App Pokémon Home ausweichen - diese soll allerdings erst ab Frühling 2023 von Pokémon Karmesin & Purpur unterstützt werden.
Bleibt abzuwarten, ob das Spiel so lange überhaupt durchhält, denn rein vom Gameplay her stimmt aus meiner Sicht vieles, und diese Meinung teilen auch die meisten Fans. Technisch ist das Spiel allerdings eher eine Zumutung. Mir persönlich ist vor allem in der Frühphase des Spiels eine sehr niedrige Framerate störend aufgefallen, das ist aber im Lauf der Zeit besser geworden - oder ich hab mich einfach dran gewöhnt und nehme es nicht mehr wahr, das kann auch sein. Die Kamera ist öfter mal in den Boden geglitcht, was, nun ja, lustig aussah, und einmal schwebte ein Traunfugil halb im Boden an mir vorbei und ließ sich so auch nicht ansprechen. Von meiner persönlichen Erfahrung her - und ich hab das Spiel ausgiebig gespielt - gibt es also ein paar kleinere Bugs, die zwar auffallen, mit denen man aber leben kann.
Andere Spieler hatten wohl nicht so viel Glück wie ich. Dass euer Motorrad-Pokémon weg glitcht und ihr deshalb ohne fahrbaren Untersatz einfach lustig durch die Luft düst - geschenkt, was soll's! Viele Spieler berichten aber auch von Spielabstürzen - ein Phänomen, das ich bislang auf der Switch generell noch nicht erlebt habe, das aber gerade bei einem AAA-Titel wie Pokémon gleich zweimal nicht vorkommen darf, es wohl aber doch tut. Ein Spieler berichtet auch davon, dass das Spiel einfach mal alle seine Boxen leergeräumt hat und ihm nur noch das aktuelle Team blieb, auch keine schöne Vorstellung. Tatsächlich häufen sich die groben Fehler wohl so sehr, dass zahlreiche Spieler inzwischen ihr Geld zurück fordern und Nintendo sogar auch eingeknickt ist und das Geld tatsächlich zurückgezahlt hat. Wie gesagt, ich persönlich hab von den ganz groben Fehlern nicht viel mitgekriegt, ich hatte nur kleinere harmlose Bugs. Da es aber wohl doch ernst ist, bleibt abzuwarten, ob ein Patch folgt, der die Fehler behebt. Ob ihr bis dahin das Wagnis eingeht, das Spiel trotzdem zu kaufen, müsst ihr selbst entscheiden.
Rein aus spielerischer Sicht würde ich Pokemon Karmesin & Purpur uneingeschränkt empfehlen: Es macht einfach zu viel Spaß, die offene Spielwelt zu erkunden, die drei Pfade abzuarbeiten und das Finale im Abyss zu erleben. Einige kleine Bonbons habe ich noch gar nicht erwähnt, so liebe ich beispielsweise die Möglichkeit, immer und überall ein Selfie zu schießen. Gäbe es gar keine Bugs, würde ich das Spiel vermutlich mit 96% oder 97% bewerten - gerade nach Pokémon Schwert & Schild, die mich überhaupt nicht fesseln konnten und durch die ich mich regelrecht durchquälen musste, haben Karmesin & Purpur wieder richtig viel Spaß gemacht! Da es die Bugs aber doch gibt, kann ich mich auf keine Wertung festlegen, sondern nur sagen: Entscheidet für euch selbst!
Bildnachweis: Alle Screenshots in diesem Artikel sind selbst erstellt. Das Copyright liegt bei den Rechteinhabern der jeweiligen Spiele.
Pokémon: © Nintendo, Creatures Inc., GAME FREAK inc.
Erstellt am 11.01.2021 • Letzte Änderung: 29.09.2022 • Impressum • Datenschutz • Cookie-Einstellungen • Nach oben